In Some Assembly Required spricht Arin Andrews von seiner ersten Berührung mit dem Begriff Two-Spirit. Er berichtet zuvor, dass seine Mutter und er sich in gewisser Weise einer indigenen Abstammung, die sie haben, verbunden fühlen. Aus diesem Grund veränderten sich ihre Gefühle in Bezug auf die Transidentität ihres Sohnes ein wenig, als der Psychologe ihnen das Konzept von Two-Spirits näher brachte (Andrews 2014: 127f.). Da mich dieser Punkt in Arins Biographie sehr faszinierte, entschied ich mich, dieses Thema auszuwählen als ich in Ethnoglogie einen Essay schreiben sollte:

[Der folgende Essay entstand im Sommersemester 2015 im Kontext des Seminars Einführung in die Ethnographie Nordamerikas an der Goethe-Universität Frankfurt. Nachdem ich den Kurs bestanden habe, entschied ich mich dafür den Essay hier zugänglich zu machen.]

Der vorliegende Essay beschäftigt sich mit dem Begriff Two-Spirit. Im Speziellen folgt dieser Essay der Fragestellung, wie der Begriff Two-Spirit in zwei ausgewählten Filmen dargestellt und definiert wird. Im Besonderen werden eine Dokumentation aus dem Jahr 1991 und ein Trailer einer weiteren Dokumentation aus dem Jahr 2009 betrachtet. Die Auswahl dieser beiden Filme erfolgte auf Basis von Zugänglichkeit und Verfügbarkeit: Beide sind unter wenigen anderen Beiträgen unter dem Stichwort „Two-Spirit“ auf dem Onlinevideoportal YouTube zu finden und wurden jeweils etwa 52000 Mal angesehen. Es sind ergo leicht aufzufindende und ebenso einfach zu konsumierende Inhalte, die bereits von vielen Menschen rezipiert wurden.

Auf der dritten Native American/First Nation Gay And Lesbian Conference in Winnipeg (1990) wurde die Bezeichnung Two-Spirit klar definiert. Es handelt sich demnach um einen Überbegriff, der erstens heutige indigene Lesben und Schwule bezeichnet. Zweitens bezeichnet er indigene Geschlechterkategorien sowie zugrunde liegende Traditionen mit entsprechender Diversität an Geschlechterkategorien, Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen. Drittens wurde das Konzept explizit für nicht-indigene Traditionen von Geschlechtervielfalt geöffnet, exemplarisch werden u.a. Transvestit*innen, Butches und Transpersonen genannt (Tietz 1996: 205 in Jacobs, Thomas und Lang 1997: 2).
Angemerkt wird aber, dass der Begriff trotz offen gehaltener Definition genutzt wird, um sich von nicht-indigenen queeren Menschen abzugrenzen (Jacobs, Thomas und Lang 1997: 3).

Historisch wurde statt dem Begriff Two-Spirit üblicherweise das Wort Berdache verwendet. Meist wird es heutzutage als beleidigend oder diskriminierend eingestuft (Jacobs, Thomas und Lang 1997: 3). Der Grund für diese Verurteilung liegt in der Etymologie des Wortes: Berdache leitet sich nämlich vom persischen Wort bardaj ab, das abschätzig einen passiven [sic!] homosexuellen Mann bezeichnet (Williams 1986: 9 in Jacobs, Thomas und Lang 1997: 4) oder auch einen jungen Prostituierten bzw. Lustknaben (Angelino und Shedd 1955: 121f.in Jacobs, Thomas und Lang 1997: 4).

Der erste Filmbeitrag ist aus dem Jahr 1991 und trägt den Titel Two-Spirit People. Hier wird der Begriff Two-Spirit im gesamten Film fast nicht benutzt. Terry Tafoya, eine der interviewten Personen, benutzt und erklärt stattdessen den umstrittenen Begriff Berdache für sich selbst und andere. Recht zu Beginn wird jedoch von mehreren Personen hervorgehoben, dass weder Berdache noch Two-Spirit Wörter sind, die in indigenen Sprachen Nordamerikas verwendet werden. Um diesen Kontrast besonders deutlich zu machen und in gewisser Weise aufzuzeigen, wie verbreitetet das Konzept von mehr als zwei Geschlechterrollen in Nordamerika vor der Kolonialisierung war, wird anschließend eine Liste von ca. 30 Bezeichnungen aus verschiedenen indigenen Sprachen präsentiert (Beauchemin 1991).

Weiterhin beschreibt Randy Burns für die nördlichen Paiute das Korb- und Knochenritual. Hierbei hatten alle Kinder mit etwa 12 Jahren die Möglichkeit zwischen Korb und Knochen zu entscheiden, wobei Knochen für die maskuline und Korb für die feminine Geschlechterrolle stand. Anschließend wurden sie ihrer Wahl entsprechend initiiert und sozialisiert. Paula Gunn Allen ergänzt, dass die Geschlechterrolle in indianischen Gesellschaften vor der Kolonialisierung nicht biologischen Aspekten folgte. Es ging dabei um die Art wie jede*r einzelne in der Gemeinschaft ‚funktionieren‘ wollte.
Will Roscoe schließt hier das Beispiel der Zuni We’wha an. Si*er verband die männliche und weibliche Rolle so miteinander, dass si*er in beiden Rollen gleichzeitig lebte. Roscoe nennt exemplarisch mehrere Tätigkeiten, die ausschließlich Männer oder ausschließlich Frauen vorbehalten waren. We’wha führte all diese aus und war Roscoe zur Folge sogar so begabt darin, dass sie unter den Zuni dafür bekannt war.

Der zweite Filmbeitrag, der im Rahmen dieses Essay betrachtet werden soll, stammt aus dem Jahr 2009. Es handelt sich um den fünfminütigen Trailer zum 65-minütigen Film Two-Spirits. Zu Beginn wird das Schicksal eines Navajos mit Namen Fred thematisiert. Kurz wird der Begriff Two-Spirit durch folgenden Satz erklärt: „The masculine and the feminine are sometimes so completely reflected in the body of one person. It’s as if they have two spirits.” Anschließend spricht Freds Mutter und führt das Wort den Navajo Terminus für Two-Spirit nádleehé ein (Martin 2009).
Weiterhin wird der Kontrast dargestellt, wie es queeren Menschen vor der Kolonialisierung ergangen ist im Vergleich zu heute. Deutlich wird dies durch die Einbledung „In another time he would have been honored instead he was murdered”. Ebenso wird dies durch Anmerkungen wie “in America there is nothing more traditional than two-spirit people” und “We were getting married here long before […] Stonewall[1]” deutlich (Martin 2009).
Außerdem wird mit durch die Musik eine Art heroischer Eindruck unterstrichen, der insbesondere durch die Einbledung “The bravest choice you can make is to be yourself” und die finale Äußerung “A place where two discriminations meet is a dangerous place to live” auch sprachlich erzeugt wird (Martin 2009).

Die beiden Filmbeiträge unterscheiden sich einerseits durch die Länge und Aufmachung. Insbesondere unterscheiden sie sich darin, welche Wörter verwendet werden, um dem Publikum den Begriff Two-Spirit näher zu bringen. Im Gegensatz zu der genannten Definition des Begriffs Two-Spirit, bieten die beiden Filmbeiträge keine konkrete Definition. Sie versuchen viel mehr den Begriff zu umreißen oder verschiedene Aspekte aufzuzeigen und sich so zu nähern. In Two-Spirit People (1991) ist dabei die Rede von schwul und lesbisch und unendlich vielen Punkte auf einem kreisförmigen Kontinuum, auf dem Geschlechtsidentität und sexueller Orientierung dynamisch verteilt sind. Two-Spirits (2009) bietet nur die Erklärung, dass das die Personen jeweils das Männliche und Weibliche in sich tragen und beides widerspiegeln.

Two-Spirit People (1991) versucht gleichzeitig traditionelle Konzepte von Geschlechterrollen aufzuzeigen, indem beispielsweise das Korb-Knochen-Ritual beschrieben wird. Auch werden die Interviewten teils mit sehr naturbezogenem Hintergrund dargestellt. Weiterhin ist oft die Rede von Traditionen und Familienverbundenheit. Der Trailer zu Two-Spirits (2009) hingegen beginnt zwar mit Landschaftaufnahmen, die Handlung wird jedoch klar über das Gewaltverbrechen an Fred aufgebaut. Hier wird außerdem ein starker Kontrast von einem unbestimmten und romantisierten Früher zur erlebten Gegenwart thematisiert. Dabei werden queerhistorische Ereignisse wie der Stonewall-Aufstand als Allgemeinwissen vorausgesetzt.

Der vorgenommene Vergleich der beiden Filmdokumente wirft auch die Frage auf, inwiefern sich die mediale Darstellung von Two-Spirits im Laufe von ca. 20 Jahre verändert hat. Zwar kann anhand der beiden Beispiele keine allgemeingültige Antwort auf diese Frage gefunden werden, jedoch zeigt der Vergleich auf, dass ein informiertes Publikum vorausgesetzt wird. Es bietet sich somit das Forschungsdesiderat, den Einfluss queerhistorischer Entwicklungen auf die Wahrnehmung und Darstellung von Two-Spirits zu beforschen. Ebenso zeigte sich auch die Einbettung in Traditionen als ein wichtiges Thema der Filmbeiträge. Auch dies stellt einen Punkt dar, an dem weitere Forschung anknüpfen könnte und sollte.

[1] Stonewall bezeichnet an dieser Stelle den Stonewall-Aufstand 1969, auf den sich auch heutzutage Veranstaltungen wie der Christopher-Street-Day beziehen.

Verwendete Quellen
Andrews, Arin (2014): Some Assembly Required. The Not-So-Secret Life of a Transgender Teen. New York: Simon & Schuster.
Beauchemin, Michel, Lori Levis und Gretchen Vogal (1991): Two-Spirit People. USA: Frameline, Gender on a Stick Production. 20 Min.
Jacobs, Sue-Ellen, Wesley Thomas und Sabine Lang (1997): „Introduction“. In: Jacobs, Sue-Ellen, Wesley Thomas und Sabine Lang (Hg.): Two-Spirit People. Native American Gender Identity, Sexuality, and Spirituality. Urbana, Chicago: University of Illinois Press, 1-18.
Martin, Russell und Lydia Nibley (2009): Two-Spirits. USA: Say Yes Quickly. 65 Min.